Edith Kravec „Ich habe keine einzige Sekunde bereut“

16.02.2019 - Man kann Edith Kravec getrost als Grande Dame des Aachener Karnevals bezeichnen. Seit 32 Jahren ist die in Beuthen in Oberschlesien geborene Laurensbergerin im Vorstand der KG Rübezahl Silesia aktiv. Sie hat mit ihrem ehrenamtlichen Engage- ment, unterstützt durch ihren Mann Michal, einen großen Anteil am Stellenwert der 1975 gegründeten KG im Gefüge der Aachener Karnevalsvereine. In dieser Session feiert Edith Kravec gleich zwei närrische Geburtstage: Sie ist seit zweimal 11 Jahren Präsidentin der Rübezahl, und ihr Verein feiert seinen viermal 11. Geburtstag. Zudem war sie erste Präsidentin eines gemischten Karnevalsverein in Aachen. So sei der Fastelovvend eine tragende Säule ihres Lebens geworden, sagt sie im Gespräch mit unserem Mitarbeiter Gerd Simons.

Die KG Rübezahl Silesia wird automatisch mit der Präsidentin Edith Kravec in Verbindung gebracht. Wie ist es 1987 zum ersten Kontakt mit der Gesellschaft gekommen?

Kravec: Durch meinen leiblichen Vater. Meine Eltern hatten sich getrennt, und er ist nach Kanada ausgewandert. In Toronto gründete er als Fan des rheinischen Brauchtums die 1. Torontoer KG und war deren Präsident. Bei einem Besuch in Aachen hat er mich mit Günther Marwitz, dem Gründungspräsidenten der Rübezahl, bekanntgemacht. So bin ich zum Karneval gekommen. Ich wurde zur Gala-Sitzung eingeladen, doch zunächst konnte ich mit Karneval gar nichts anfangen. Mein Mann hat dann Lose für die Tombola gekauft, und wir haben fast alle großen Preise abgeräumt. Das war mir so peinlich, dass wir Mitglieder im Verein wurden, um ihn zu unterstützen.

Sie wurden nicht nur Mitglied, sondern sofort in den Vorstand gewählt ...

Kravec: Ja, eine verrückte Sache. Es fehlte bei der Jahreshauptversammlung ein Kandidat für den Schriftführer, und ich erklärte mich bereit, diesen Posten zu übernehmen. Es war ja nur etwas Schreibarbeit, wie ich dachte. Trotz meiner anfänglichen Ahnungslosigkeit in Sachen Karneval nahm meine Karriere bei den „Rüben“ Fahrt auf, bei der nächsten Vorstandswahl wurde ich Vize-Präsidentin. Ich mochte die Menschen im Verein und im Karneval auf Anhieb, und viele langanhaltende Freundschaften sind seitdem entstanden. Mit Menschen, die ich in meinem Umfeld nicht missen möchte. Auch nach 32 Jahren bin ich immer noch eine leidenschaftliche Karnevalistin und glückliche Präsidentin eines tollen Vereins.

Der Verein wurde offiziell 1975 gegründet. Die Wurzeln der KG findet man 22 Jahre früher.

Kravec: Unter dem Namen „Festausschuss der Landsmannschaft Schlesien - Kreisgruppe Aachen-Stadt“ waren Heimatvertriebene aus Schlesien und Oberschlesien bereits seit 1953 in der KG aktiv. Der Festausschuss hatte als erste Aachener Karnevalsgruppierung einen komplett weiblichen Elferrat. Dieser Einbruch in die Männerdomäne Karneval missfiel dem damaligen Präsidenten des Ausschusses Aachener Karneval (AAK), Jacques Königstein, der dem „Festausschuss der Landsmannschaft“ die Aufnahme in den Dachverband AAK verweigerte. Erst 1975 wurde die KG Rübezahl Silesia mit Unterstützung des ehemaligen AAK-Präsidenten Franz Baumann gegründet und trat noch im selben Jahr dem Bund Deutscher Karneval bei. Unter der Patenschaft der Prinzengarde der Stadt Aachen wurde die KG Rübezahl dann Mitglied im AAK.

Welchen Einfluss hatte Franz Baumann auf Ihre Entscheidung, erste Präsidentin eines gemischen Karnevalsvereins zu werden?

Kravec: Er war der Präsidentinnenmacher! Nach dem zweimal 11-jährigen Jubiläum der Rübezahl sollte der blühende Verein nach Einschätzung des damaligen Vorstandes „ruhend gestellt“ werden. Ich fragte Franz Baumann, was er davon halte. Seine Antwort war eindeutig: „Einen abgeholzten Wald forstet man nicht mehr so leicht auf.“ Er überredete und motivierte mich, den Präsidentenposten zu übernehmen. Er sagte mir seine Unterstützung zu, ich stellte mich zur Wahl und wurde eine der ersten Präsidentinnen im Aachener Karneval. Ich habe keine Sekunde davon bereut.

Neben Ihnen führen derzeit nur drei weitere Frauen als Präsidentinnen Aachener Karnevalsvereine. Ist die Gleichberechtigung im Karneval noch nicht angekommen?

Kravec: Der Karneval ist nach wie vor eine Männerdomäne, wobei es für das weibliche Geschlecht immer besser wird. Ich fühlte mich nie als Außenseiterin unter den Präsidenten und Kommandanten, sondern ernstgenommen und gut aufgehoben. Hilfe kam und kommt von allen Seiten, und ich fühle mich im Verbund der Präsidenten und Kommandanten sehr wohl. Es kommt immer darauf an, was man aus seinem Amt macht und wie man es versteht. Einige Vereine können keine Frauen aufnehmen, weil die Satzung es nicht zulässt. Es gibt meiner Meinung nach zu wenige Frauen, die sich trauen, eine solch große Aufgabe zu übernehmen. Ich habe für mich festgestellt, dass ich an meinen Aufgaben gewachsen bin. Ich bin Franz Baumann bis heute dankbar für seinen Rat und froh darüber, dass ich auf den erfahrenen Karnevalisten gehört habe. Ich empfehle allen karnevalsbegeisterten Frauen, sich nicht davon abhalten zu lassen, in einem Karnevalsverein als Präsidentin gemeinsam mit dem Vorstand Verantwortung zu übernehmen. Frauen können mehr als nur tanzen – was sie allerdings hervorragend können.

Welche Voraussetzungen muss man als Präsidentin mitbringen?

Kravec: Man braucht viel Fingerspitzengefühl, denn man hat es mit vielen unterschiedlichen Charakteren zu tun. Man muss Menschen lieben, und man muss sich im Klaren sein, das es sich bei dieser ehrenamtlichen Tätigkeit um ein Hobby handelt. Dieses Hobby soll zwar Spaß machen, aber der finanzielle Aufwand dabei ist nicht zu unterschätzen. Meine Mitglieder opfern für den Verein ihre Zeit, also muss ich mit ihnen pfleglich umgehen, um sie an den Verein zu binden. Wichtig war für mich immer, dass ich mich mit den Mitgliedern auf Augenhöhe treffe.

Die KG Rübezahl ist anerkannt, und Sie als Person sind im Karneval sehr beliebt. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Kravec: Im Laufe der Jahre hatten wir bei der KG viele Mitgliederwechsel. Jeder Neuzugang macht mich glücklich, jeder Abgang stimmt mich traurig – ich bin da sehr emotional unterwegs. Die Mitglieder im Verein und die Karnevalisten in den anderen Vereinen erleben mich, glaube ich, als herzlichen und authentischen Menschen, der auf sie zugeht und sie mit offenen Armen empfängt. Wir wollen alle dem Brauchtum dienen und gemeinsam bei Veranstaltungen und auch während des gesamten Jahres im Kollektiv Spaß haben, unsere Vereine mit Leben füllen und erhalten. Ich glaube, das ist mein Schlüssel.

Wie empfinden Sie den Karneval heute? Ist er so, wie sie es sich damals vorgestellt hatten, als sie ahnungslos dem Verein beigetreten sind?

Kravec: Der Karneval kann eine sehr ernste Angelegenheit sein, und es kommt immer auf die eigene Sichtweise an. Für mich ist das Brauchtum eine wunderbare Sache, und ich engagiere mich gerne ehrenamtlich mit Leib und Seele. Ich habe festgestellt, dass die Klischees von saufenden und gröhlenden Karnevalisten, die nur das Eine im Sinn haben, böse Vorurteile sind, die sich hartnäckig halten. Karneval ist ein Gefühl, das man nur schwer erklären kann. Es überkommt auch Nichtkarnevalisten oder Menschen, denen das Brauchtum fremd ist. Dieses Gefühl für den Karneval bekommt man, wenn man mit seinem Verein zum Beispiel ein Altenheim besucht und sieht, wie sich die alten Menschen über die Abwechslung in ihrem tristen Alltag freuen. Oder man kommt ins Vinzenzheim, der erste Besuch dort hat mich richtig umgehauen. Seitdem sind wir an jedem Fettdonnerstag dort zu Gast. Es ist immer noch eine Riesenfreude, wenn die Rübezahl dort aufmarschiert. Es ist schön, wenn man erwartet wird.

Sie werden bei den nächsten Vorstandwahlen Ihres Vereins nicht mehr zur Wiederwahl antreten. Können Sie Ihre letzte Session genießen?

Kravec: In vollen Zügen! Ich befinde mich auf Abschiedstour durch den Aachener Karneval und freue mich auf jedes Treffen und auf jeden Auftritt. Wehmut macht sich derzeit noch nicht breit. Ich habe einen tollen Verein hinter mir, mit Menschen, die mir Freunde bereiten. Den Stellenwert der „Rüben“ konnte ich bei unserem Empfang zum viermal Elfjährigen beobachten. Viele Vereine machten uns die Aufwartung, und viele Weggefährten aus 44 Jahren haben uns besucht. Da wird einer alten Karnevalistin wie mir richtig warm ums Herz. Ich denke, die Wehmut und die Abschiedsgedanken werden vor den tollen Tagen aufkommen. Ich freue mich auf den Rosenmontag, wenn ich mit meinen „Rüben“ auf dem renovierten Karnevalswagen noch einmal als Präsidentin durch Aachen ziehen darf. Nach dem Vereins- jubiläum zum 44. Geburtstag des Vereins und meinem zweimal Elfjährigen wird es Zeit für mich, Platz für einen jüngeren Nachfolger zu machen. Ich bin fest davon überzeugt, die Rübezahl wird auch nach mir einen festen Platz im Öcher Fastelovvend haben.

Es heißt im Brauchtum: Nach der Session ist vor der Session. Was machen Sie nach ihrem persönlichen Aschermittwoch als Präsidentin?

Kravec: Ab Aschermittwoch wird die abgelaufene Session aufgearbeitet und die Jahres- hauptversammlung der KG Rübezahl Silesia vorbereitet, auf der meine Nachfolgerin bzw. mein Nachfolger im Amt gewählt wird. Ich bleibe dem Karneval und vor allem dem Ehrenamt erhalten. Ich werde meine Englischkenntnisse weiter verbessern und mich als Katzenfan wahrscheinlich im Tierschutz engagieren. Ich habe viele Ideen.

 

(AN/AZ-Ausgabe vom 16.02.2019/Gerd Simons)



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